Projekte

Die Spuren der ‚Kleinen Eiszeit‘ in der Literatur der frühen Neuzeit (1570–1780), ab Herbst 2024

Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe, Förderbeginn: Oktober 2024

Die aus historischen Quellen, dendrochronologischen und paläobotanischen Daten sowie aus Sedimentanalysen und Eisbohrkernen rekonstruierten Temperaturverläufe der letzten 1000 Jahre zeigen, dass der mit Beginn des industriellen Zeitalters einsetzenden Erwärmung des Klimas eine lange Kaltphase vorausging – die sogenannte ‚Kleine Eiszeit‘ (ca. 1350–1850). Während die Temperaturverläufe und historischen Folgen der ‚Kleinen Eiszeit‘ bereits weitestgehend erschlossen wurden, ist eine Erforschung ihrer kulturellen Auswirkungen weiterhin ein Desiderat. Im Rahmen des Projekts, das den Environmental Humanities zugerechnet werden kann, wollen wir einerseits durch kontextualisierend-interpretierende Verfahren, andererseits durch technisch unterstützte Auswertungen eruieren, ob und inwiefern sich die widrigen klimatischen Bedingungen der ‚Kleinen Eiszeit‘ auf die Entwicklung der Literatur im Allgemeinen sowie im Speziellen auf die Gattungen und Themenwahl von Texten zwischen der zweiten Hälfte des 16. und der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgewirkt haben. Darüber hinaus soll in Workshops und einem Kolloquium im Austausch mit den interdisziplinären Kooperationspartnern in das Spätmittelalter und das 19. Jahrhundert ausgegriffen werden.

Das Projekt orientiert sich im zeitlichen Zuschnitt an den Hochphasen der ‚Kleinen Eiszeit‘ – es nimmt also eine durch Klimahistoriker ermittelte Kaltzeit als Datierungsgrundlage, die Textauswertung nimmt jedoch auch Beispiele aus Zeiten besserer Umweltbedingungen mit auf, um Unterschiede und Kontinuitäten sichtbar zu machen. Da das Wissen um die Wandelbarkeit des Klimas rezent ist, bietet sich das für den Menschen seit jeher erfahrbare und in Texten dokumentierte Wetter als primärer Untersuchungsgegenstand an. Wetter wird dabei nicht als isoliertes Phänomen betrachtet, sondern stets in einen größeren diskursiven Zusammenhang von Wetterbegründungen und Wetterfolgen gestellt. Durch den diachronen Ansatz sollen diskursive Veränderungen, etwa der Einfluss einer im späten 17. Jahrhundert entstehenden messenden Meteorologie, sowie die Persistenz von ‚Katastrophenerinnerungen‘ ebenso wie mögliche Gewöhnungs- und Resilienzeffekte im Untersuchungszeitraum ersichtlich werden. Das Projekt leistet somit einen Beitrag zur Erforschung von kulturellen Bewältigungs- und Anpassungsstrategien in Reaktion auf klimabedingte Extremereignisse und langanhaltend ungünstige Umweltbedingungen.

EcoFolk. Zur Agentialität (über-)natürlicher Entitäten in deutschen Mittelgebirgen, 02.2024–09.2025

VW-Projekt (gemeinsam mit Niels Penke)

In unserem durch die VolkswagenStiftung im Format „Aufbruch“ geförderten Projekt werden die lokalen Sagen- und Märchenbestände deutscher Mittelgebirge sowie die darin geschilderten (über-)natürlichen Figuren auf ihr ökologisches und kulturpoetisches Potential hin untersucht. Diese Texte wurden im frühen 19. Jahrhundert unter anderem durch die Brüder Grimm gesammelt und werden in den gegenwärtigen Literaturwissenschaften tendenziell geringgeschätzt, sind jedoch in populären Kulturen umso wirkmächtiger.

Als Untersuchungsräume des Projekts dienen drei deutsche Mittelgebirge: der Harz, der Schwarzwald und das Erzgebirge. Die Wanderungen können jedoch auch in anderen Mittelgebirgen stattfinden und sind nicht fest an die drei genannten gebunden. Unser Ziel ist es einerseits, die historische Genese und die Einflüsse epistemischer Formationen nachzuvollziehen, um zu zeigen, welche Transformationen Figuren und Mythologeme im Zuge der fortschreitenden Rationalisierung und Ökonomisierung des Mensch-Natur-Verhältnisses durchlaufen haben. Andererseits sollen die (über-)natürlichen Entitäten der Sagen und Märchen in gegenwärtigen Inszenierungen von Naturräumen erforscht werden, um nachzuvollziehen, wie sie als Garanten unbeeinträchtigter Naturräume gerade dort genutzt werden, wo die Schäden durch Raubbau, Missmanagement und Klimaveränderung besonders deutlich sind.

Inspiriertes Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert, bewilligt im Herbst 2019

Walter Benjamin-Projekt, wegen der COVID19-Situation nicht angetreten.

Der Typus des inspirierten Autors, dem seine Sprache, seine Themen und seine Legitimation nicht aus Buchquellen, sondern direkt aus göttlicher Eingabe zufließen, kann als Gegenmodell zum Ideal gelehrter Dichtung und der Dominanz von Regelpoetiken, die die Literaturproduktion in der frühen Neuzeit prägen, verstanden werden.

Ziel des geplanten Projekts, das einen Beitrag zur intellectual history der Vormoderne leisten will, ist ein vierfaches: 1.) Die am Inspirationskonzept partizipierenden (Fach-)Diskurse herauszuarbeiten. 2.) Das prophetische und inspirierte Dichten als zentrales Autorschaftsmodell zwischen dem ausgehenden 16. und dem späten 18. Jahrhundert zu untersuchen und zu ermitteln, inwiefern Autorschaftskonzeptionen, wie sie in der Genieästhetik des späten 18. Jahrhunderts prägend werden, ihre Vorläufer im inspirierten Schreiben in Barock und Aufklärung besitzen. 3.) Die Funktionen von Inspiration und deren Wirkung und Inszenierung im Rahmen unterschiedlicher Gattungen herauszuarbeiten. 4.) Die sprachliche Umsetzung inspirierten Schreibens zu analysieren.

Edition der Tagebücher Ernst Jüngers aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, 2019–2022

Ziel des Projekts war eine dreibändige Ausgabe von Ernst Jüngers Tagebüchern aus dem Zweiten Weltkrieg und der frühen Nachkriegszeit, die er zwischen 1942 und 1958 veröffentlichte und die heute unter dem 1949 eingeführten Titel „Strahlungen“ zusammengefasst werden. Die Edition berücksichtigt sowohl die publizierten Texte in sämtlichen Fassungen als auch das unpublizierte Material, das den veröffentlichten Tagebüchern zugrunde liegt. Hierdurch wird dieses zeitgeschichtlich außerordentlich facettenreiche und deswegen häufig aufgerufene Dokument eines der größten deutschen Diaristen der Weltkriegszeit erstmals in sämtlichen publizierten Fassungen sowie in den handschriftlichen Vorstufen präsentiert.

(gemeinsam mit Prof. Dr. Helmuth Kiesel)

p> Publikation: Ernst Jünger: Strahlungen. Die Tagebücher des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit (1939–1948). Historisch-kritische Ausgabe. 3 Bd., (hrsg. gemeinsam mit Helmuth Kiesel, unter Mitarbeit von Friederike Mayer-Lindenberg), Stuttgart 2022. Erhältlich im Verlag Klett-Cotta.

Die Genese der „Strahlungen“ aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern, 2014–2018

Meine Dissertation „Die Genese der ‚Strahlungen‘ aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern“ machte es sich zur Aufgabe, die bislang nur punktuell erforschten Originaltagebücher Ernst Jüngers, welche er in den Jahren 1939 bis 1948 führte, zu erschließen, den Publikationsprozess von der ersten Niederschrift bis zur letzten Werkausgabe nachzuzeichnen und die Differenz zwischen privaten Aufzeichnungen und veröffentlichtem Text herauszustellen. Basis der Untersuchung bilden Jüngers private Tagebücher des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit, welche sich heute im Deutschen Literaturarchiv Marbach befinden. Im handschriftlichen Material zeigt sich ein komplexes Aufeinanderfolgen von erweiternden, aber vor allem auch kürzenden Überarbeitungsschritten.

Neben der Präsentation von zahlreichen bislang unveröffentlichten Passagen aus Jüngers Tagebüchern und Korrespondenzen wird durch die Arbeit an folgenden Stellen ein neuer Forschungsstand erreicht:

  • Das Tagebuch wird als Gattung präsentiert, die zwischen einem historisch-biographisch orientierten, faktualen Zugriff und einem literarisch-werkorientierten, ästhetischen Zugriff steht. Basierend auf der detaillierten Materialanalyse bietet die Arbeit eine Neubewertung nicht nur der Tagebücher Jüngers im Speziellen, sondern der in der Forschung als „literarisches Tagebuch“ firmierenden Textgattung im Allgemeinen. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Begriff die Wechselbeziehungen zwischen privatem Dokument und literarischem Werk nicht ausreichend scharf erfasst, weshalb am Ende der Arbeit für den neutraleren Begriff des „autorpublizierten Tagebuchs“ plädiert wird.
  • Die verlags- und buchgeschichtlichen Kapitel des zweiten Teils bieten eine Fallstudie zu den Publikationsbedingungen und -hemmnissen im „Dritten Reich“ und den Nachkriegsjahren. Der Gattung des Tagebuchs kommt im Zugriff durch die Zensur insofern eine besondere Bedeutung zu, als dass sie oft als faktual rezipiert wird und somit vorgeblich Aussagen über gegenwärtige Zustände trifft.
  • Durch die Textgenese als interpretatorisches Werkzeug konnten literatur- und editionswissenschaftliche Ansätze produktiv miteinander verbunden werden, wodurch auch eine im literaturwissenschaftlichen und didaktischen Kanon eher marginalisierte Textsorte wie das Tagebuch an Reiz gewinnt. Nicht zuletzt lässt sich anhand der Untersuchung der historische Quellenstatus autorveröffentlichter Tagebücher relativieren.

Disputation Januar 2018

Publikation: Joana van de Löcht: Aufzeichnungen aus dem Malstrom. Die Genese der "Strahlungen" aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern (1939—1958), Frankfurt a. M. 2018 (Das Abendland. Neue Folge 42). Erhältlich im Verlag Klostermann.